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Menschenfeind

Von Fabian Alder

Frei nach Molière

Vorstellungsdauer
ca. 75 Minuten, keine Pause

Uraufführung

Premiere: Sa. 29. April 2023, 20.00

Ein grantiger Großstadtneurotiker unter selbstoptimierten Influencer-Lifestyle-Linken. Und dann ist er auch noch in das schlimmste Exemplar von ihnen verliebt! Zynisch bissig stellt sich der Misanthrop gegen Oberflächlichkeit, Einheitsmeinung und künstliche Empörung. Fabian Alder beweist in seiner Überschreibung von Molières Komödien-Klassiker, wie witzig Wut ist, wenn sie sich reimt.

Termine und Infos

Spielplan

  • Wiederaufnahme

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  • Publikumsgespräch im Anschluss

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Über Menschenfeind

"Im Minutentakt prasseln die Pointen.” Die Presse

„Viel Applaus für einen Abend, der großen Spaß macht.“ Der Standard

Ein Wutbürger als Hauptdarsteller in einer Komödie? Geht das? Ja, das geht, und zwar schon ziemlich lange und erfolgreich. Molières berühmter Menschenfeind Alceste steht an der zynischen Außenlinie der Gesellschaft und verbreitet durch ätzende Kommentare seine Verzweiflung an der Oberflächlichkeit der Welt. Isoliert als intelligenter Außenseiter versucht er dem Treiben, das ihn eigentlich auf seltsame Weise fasziniert und von dem er auch intellektuell profitiert, zu entkommen. Der klassische Großstadtneurotiker. Unzufrieden bis in die Knochen, gleichzeitig von der Welt der Menschen angezogen, welche aber angefüllt ist mit seiner Meinung nach banalem und uninteressantem Personal. Das ist die Haltung des Misanthropen gegenüber der Welt. Dummerweise ist er aber in eine Frau verliebt, die in dieser von ihm so angefeindeten Gesellschaft schwimmt wie der Fisch im Wasser und eine erfolgreiche Teilhaberin an dieser ist …

Fabian Alder versetzt den Klassiker „Der Menschenfeind“ von Molière mit viel Humor in die Welt von heute. Auch sein Alceste regt sich über die ihn umgebende Gesellschaft auf. Kein neuer, kein authentischer Gedanke in keinem Kopf. Alles abgeschmackt, kopiert, von außen in die Hirne eingeblasen von beeinflussenden Stichwortgebern wie sozialen Medien, Psychologie-Ratgebern, Netflix-Serien, Werbe- und Marketingagenturen, Umfrageinstituten und dem abstumpfenden und normierenden Bildungssystem. „Normopathie“ überall, welche mit Floskeln, Phrasen und Geplapper überformt wird. Keiner hält es mehr aus, wenn jemand eine andere Meinung vertritt. Empörung oder Sentimentalität werden mit echtem Engagement verwechselt und am Ende des Tages gibt es sowieso nur eine Sache, die die Menschen wirklich interessiert: die ununterbrochene Verfügbarkeit sämtlicher Konsumgüter.

Unter Beibehaltung des Grundplots beweist Alder mit seiner gewitzten Überschreibung, in der auch auf Reim und Versmaß nicht verzichtet wird, die absolute Zeitlosigkeit und Brisanz dieses Komödienklassikers. Und zeigt uns, dass große Wut auch sehr komisch sein kann.

Team

Es spielen
Text
Fabian Alder
Regie
Fabian Alder
Rollschuh-Choreographie
Riannon Clarke
Bühnenbild
Thomas Garvie
Kostüm
Katia Bottegal
Dramaturgie
Tina Clausen
Licht
Katja Thürriegl
Maske
Beate Bayerl
Regieassistenz
Renate Vavera
Ausstattungshospitanz
Simon Pall
Kostüm- und Requisitenbetreuung
Daniela Zivic
Ton- und Videotechnik
Peter Hirsch
Bühnentechnik
Hans Egger, Manuel Sandheim, Andreas Wiesbauer

Foto-Galerie

Kritiken

“Im Theater an der Gumpendorfer Straße (TAG) hat der Schweizer Dramatiker Fabian Alder seine eigene Version dieses Stücks inszeniert: 'Menschenfeind'. Frei nach Molière: Diese Behauptung ist kühn. Denn vom großen Vorbild werden wahrscheinlich nicht einmal ein Dutzend Verszeilen verwendet. Das ist selbst für dieses kleine, feine Theater, das seit vielen Jahren Klassiker der Literatur höchst beständig und erfolgreich überschreibt, Minimalismus. Aber, oh Wunder! Man kriegt in höchst vergnüglicher Form den ganzen Molière in seiner Gesellschaftskritik und als Bonus-Track auch noch den Wahnsinn unserer aktuellen Lebenswelt dazu. (…) Die Transformation gelingt. Dieser 'Menschenfeind' ist raffiniert, grob und platt zugleich. So wie das Vorbild. Er betont dabei das Politische mehr als das Private, steckt voller Anspielungen auf all jene Überheblichen des Establishments, die sich heutzutage hierzulande für begnadete Volksvertreter, geniale Macher oder gar für kreativ halten. Bei der Premiere am Wochenende wurde in den knapp achtzig pausenlosen Minuten sehr oft gelacht, das Publikum bedankte sich am Ende mit starkem Applaus. Das Ensemble konnte seine Stärken im sparsamen, auf eher symbolische Requisiten reduzierten Bühnenbild von Thomas Garvie voll ausspielen. Jens Claßen nimmt man die Rolle des enttäuschten Linksgrünen Alceste gerne ab. Lisa Schrammel entzückt als willensstarke Célimène, die sich bei all dem Karrierestreben auch etwas Menschlichkeit bewahrt. Raffiniert gibt Michaela Kaspar als Célimènes Mitarbeiterin Éliante (anders als bei Molière) deren verletzlich-verletzende Antagonistin. Völlig schräg spielt Ida Golda die Parteisekretärin. Power pur! Drüberfahren! Sie deckt das ganze politische Spektrum ab, man hat diese Figuren hierzulande in neuerer Zeit schon im Dutzend live erlebt. Sie ist eine geborene Komödiantin. Offensichtlich Spaß haben auch Markus Hamele und Georg Schubert, die hier als Alcestes Nebenbuhler akrobatisch agieren. Katia Bottegal hat alle in reizend diverse Kostüme gesteckt. Im Minutentakt prasseln die Pointen. Bei so viel bewährter Pariser Gemeinheit konnte diesmal in Wien kein Mai-Aufmarsch mithalten.”
Die Presse
“Ob im 17. Jahrhundert oder heute, zu Misanthropie gibt die Menschheit immer Anlass. Und so hat auch der ganz und gar heutige Alceste (Jens Claßen) in Fabian Alders Überschreibung des Molière-Klassikers Der Menschenfeind, die er am Theater an der Gumpendorfer Straße auch selbst zur Uraufführung bringt, reichlich Anlass zur Hasstirade: Neoliberalismus, digitale Verdummung, Kommodifizierung jeder menschlichen Handlung und Regung, hohles Phrasengedresche – die Liste ließe sich endlos fortführen, und würde Alceste nicht gestoppt, er täte das auch. (…) Alder lehnt sich lose am Plot des Originals an, auch Reim und Versmaß behält er bei. (…) Star des Abends ist das Ensemble, das seine Figuren auf der vielseitig bespielbaren Bühne (Thomas Garvie) in liebevoller Miniaturarbeit entwickelt. Nicht zu vergessen die großartigen Kostüme (Katia Bottegal), die die historische Mode mit ihren Rüschen, Perücken und Krinolinen elegant ins Heute übersetzen. (…) Viel Applaus für einen Abend, der großen Spaß macht.”
Der Standard
“Dabei ist der Menschenfeind nicht wie im Original ein Adeliger, sondern ein typischer Internet-Grantler und Großstadtmensch, der gern recht hat. Manchmal übt er unterhaltsame Kritik, doch das Besser-Wissen-Wollen isoliert ihn. ‚Was ist denn dein Beitrag?‘, wird ihm einmal vorgeworfen. Ein Happy End mit Moral gibt es trotzdem, wobei … Aber sehen Sie selbst. Ein wunderlich-spritziger Abend mit überraschender Tanzeinlage auf Rollschuhen.”
Falter
“So cool wie ein Pop-up-Swimmingpool: Fabian Alder verwandelt am TAG Molières ‚Menschenfeind‘ in eine kunterbunte Parodie auf unsere Gesellschaft mit großartigem gereimten Text. (…) Im Gegensatz zu Molières Vorlage ist Alceste in der Bearbeitung von Fabian Alder nicht die Hauptperson des Stücks, sondern der Aufhänger für eine Parodie auf die opportunistische, heuchlerische Medien- und Politwelt. (…) Neben den Kostümen ist ein Highlight des Stückes der Text von Fabian Alder, der mit Endreimen besticht. (…) Beeindruckend, wie er es schafft, in modernen Versen sowohl Gesellschaftskritik wie Handlung zu übermitteln. (…) Der ‚Menschenfeind‘ bildet formidable Unterhaltung: Zwar ist dieses Stück weniger politisch als die letzten am TAG, aber es überzeugt mitüberzeugenden Schauspieler:innen, intelligentem Wortwitz und einem kohärenten Gesamtbild aus Regie, Bühnenbild und Kostüm. Allein wegen des Textes ist diese Aufführung absolut empfehlenswert!”
Neue Wiener
“Zum Lachen bietet die frei nach Molière verfasste Version von Fabian Alder, der auch Regie führte, an diesem Abend ziemlich viel – aus Situationskomik, Wortspiel, Spielwitz der Akteur:innen und nicht zuletzt so manchen Anspielungen – nicht zuletzt auf Zitate aus den wohl bekanntesten Chat-Nachrichten des Landes – u.a. ‚Hure der Reichen‘ (…) Außerdem ist die mögliche Intrige bzw. das Auseinanderklaffen von salbungsvollen Reden und gegensätzlichem Handeln nur ein zusätzliches Element im sehr witzigen, klugen Zerlegen von Bubbles, ihrer Sprache und ihrem Gehabe.”
Kijuku
“Es ist eine Leistung, den Alexandriner-Reim Molières zu überschreiben. Der Schweizer Fabian Alder hat sich das (zu-)getraut – und das Ganze klingt nicht nur richtig, es ist auch noch witzig, wie er die Gesellschaft hier vorführt.”
Der Sonntag
“Vom adeligen Gepränge zu Molières Zeiten sind Perücken, Andeutungen von Halskrausen, goldene Hosen und das nackte Gestell eines Reifrockes geblieben. Sie verkleiden Menschen des 21. Jahrhunderts, die im Grunde nichts anderes im Schilde führen wie damals. (…) Erstaunlicherweise wird in gereimten Versen messerscharfe Konversation geführt und damit ein weiteres Versatzstück aus alter Zeit liebevoll gepflegt. Zu verdanken ist diese Meisterleitung am Text dem Schweizer Fabian Alder. (…) Mit dem Ensemble dieses Hauses, dem kein Sattel zu schräg ist, um darauf nicht virtuos zu reiten, wird in fünf Viertelstunden dieses Plädoyer für unselbständiges Denken zum wahrhaften Vergnügen und zum heiteren Anstoß, die eigene Stellung in einem dicht verbauten Universum von Denkverboten, Verunglimpfungen von Wörtern und den von Selbstgerechtigkeit getragenen Folgen unkorrekten Handelns zu überdenken.”
Kultur und Wein

Über die Produktion

Die Welt ist schlecht. Die Welt ist heimtückisch. Die Welt ist glatte Oberfläche. Zu überleben, zu atmen, nicht unterzugehen, nicht zu verzweifeln in und an ihr – da braucht es schon ganz besondere Kletterkurse. Da muss sich manch eine*r ein Leben lang daran abmühen. Wenigen ist es in die Wiege gelegt. Die Wenigsten haben es nicht notwendig. Alle andern sind des Teufels.

Denn die Welt ist eine Hölle. Die Hölle der Gesellschaft mit anderen, in welcher anscheinend jene immer das beherrschen und immer das sind, was einem selbst so abgeht. Was bleibt einem da schon übrig als imitieren, heucheln, täuschen, hochstapeln, simulieren. Und dazu gebricht es uns nicht an Mitteln und dieser Tage auch nicht an technischen Gestellen und interaktiven Medien.

Die Welt ist ein von schlechten Schauspieler*innen erheucheltes Theater-Simulacrum. Ein Universum aus Knigge und Regeln, Sprachspielen, Sprechverboten, korrekten „Buzz-Wörtern“, deren neuester Mutation man stets hinterher ist. Die Innenausstattung besteht aus rechten Haltungen und viralen Wortmutanten, versteckten Fettnäpfchen, Stopp- und Peinlichkeits-Warnschildern und totalen „No-Goes“! Die Außenhaut aus stählernen Stacheln.

Ausgestattet ist es neuerdings auch mit AI-generierten Profilbildern, Fake-Accounts, Meinungs-Bots und Shitstorm-Windmaschinen. Ein kulturell-kollektives Labyrinth, in das man geworfen wurde und das errichtet von anonymen, höfischen Architekt*innen der Moralund Meinungsmanipulation einen in den neurotischen Wahnsinn treibt. Ausstaffiert mit der digitalen Bilderwelt von Werbeagenturen privater, aber auch staatlicher Provenance.

Also spricht der*die Neurotiker*in: „Die Welt ist nicht deine Welt! Sie ist definitiv die Welt der anderen. Die anderen sind die Hölle. Und um in der Hölle nicht aufzufallen, muss man in der Gesellschaft von Teufeln lernen, sich wohlzufühlen! Ja, selbst ein Teufel werden. (Das kann doch auch ganz spaßig sein! Jetzt ein Selfie! Klick! Schnell, Filter drüber!)“ 

Nur wehe, wenn einem zu dieser Übung das Talent fehlt. Wenn man als Theoretiker*in der Distanzierung über das höllische Parkett schreitet und überall das anprangert, woraus diese Hölle im Eigentlichen besteht. Aus sozialer Lüge und Heuchelei. Wir kennen diesen Typus: der Spaßverderber, die Ernst- und Beim-Wort-Nehmerin, der Tiefseetaucher, die philosophische Langweilerin, der Typ in der Tonne, die Randfigur, die Besserwisserin, der Außen-Steher! Der Misanthrop. Er*sie stellt sich die Frage, wie man es nur fertigbringen kann, in dieser Hölle zu leben, ohne zu versteinern? Und ihre und auch seine Antwort ist: beißender Zynismus.

Der MENSCHENFEIND wählt aber nicht den Rückzug, die mönchische Askese, auch nicht den subversiven „Waldgang“ Ernst Jüngers. Er meidet nicht die Gesellschaft der Menschen. Nein, ihn treibt es hinein. Weil auch er ein neu-rotes Neurotiker-Wesen ist und er ihrer (der Gesellschaft) so bedarf. Er ist in ihrer Mitte und geht jedem auf den Geist! Konservativ und zumeist kompetent. Das auch noch! Wie mühsam! Ihm geht es um Aufrichtigkeit oder modern geredet: Authentizität. Diese gekränkten linken Männer (und altlinken Frauen) werden heute gerne als alte, weiße Männer bezeichnet. Recht so. Links auch so.

Molières „Misanthrop“ ist der dramatische locus classicus des Phänomens, und es war, in Zeiten wie diesen, nur noch eine Frage der kürzesten Frist, bis diese Theaterfigur auch auf der Bühne des TAG auftritt. Aber – so fragt man sich gleich – sind diese Zeiten und ihre gesellschaftlichen Spiele so grundanders als jene im vorrevolutionären, höfischen Frankreich Molières? Oder jene im spätantiken Rom des Terenz und des Plautus? Ist das welkgereifte, geistige Imperium der westlichen Werte-Welt nicht ebenso hochgefährdet, in die dunklen Jahrhunderte, in revolutionäre Politiken oder gar in napoleonische Stellvertreter-Kriege zu stürzen? Das fragt man sich zuweilen. Doch man sollte es schweigend tun … eine Höhengratwanderung.

Fabian Alder ist Schweizer und damit prädestinierter felsenfester Bergsteiger. Er ist in die Molière‘sche Steilwand furchtlos und auf hochvirtuose Weise eingestiegen, indem er das schwer ins Deutsche zu übersetzende Alexandriner-Gebirge auch noch mit Endreimen (!) überschrieben hat. Hut ab! Der Kletterpfad ist erschlossen. Die Steigeisen sind gesetzt. Alder und sein Team sind fröhlich losgeklettert. Die Hölle ist immer unten. Also hinauf! Nur keine Angst! Uns alle erwartet der Gipfel – schön!

Gernot Plass
Künstlerischer Leiter des TAG

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